Vom Mehrwert eines Ausbildungsstandorts
Das duale Ausbildungssystem ist von elementarer Bedeutung für die Berufsbildung. An zwei Lernorten,
dem Ausbildungsbetrieb und der Berufsschule, werden durch die Kombination aus allgemeinbildendem und praktischem Unterricht Lernende auf ihre berufliche Laufbahn vorbereitet – ein System, das noch immer Vorbildcharakter hat. Einen zusätzlichen Beitrag in der Baubranche leisten Ausbildungszentren. Über den Mehrwert eines betriebsnahen Ausbildungsstandortes sprach die AW WELT mit Frau Elisabeth Schneider, der Ausbildungsleiterin der Albert Weil AG.
Frau Schneider, Sie sind seit 2011 bei der Albert Weil AG mit dem Thema Ausbildung betraut; seit 2023 sind Sie als Ausbildungsleiterin ausschließlich in diesem Bereich tätig. Wie darf man sich das Ausbildungssystem in der Baubranche vorstellen?
Das System besteht aus drei Säulen: dem Ausbildungsbetrieb, der Berufsschule und dem Ausbildungszentrum der Bauhandwerksinnung. Die Schule vermittelt die Theorie, das Ausbildungszentrum das Einmaleins der Bauberufe, der Betrieb vertieft dann dieses
Wissen.
Im ersten Lehrjahr wird noch gemeinschaftlich beschult; im Ausbildungszentrum werden handwerkliche Fähigkeiten aus allen Bauhandwerksberufen gelehrt, wie z.B. Zimmern, Fliesenlegen, Mauern, Malern, Straßen- und Trockenbau. Ab dem zweiten Lehrjahr wird nach Fachbereichen gegliedert. Für die Straßenbauer kommt die sogenannte „Bewegte Lehre“ dazu: Die Lernenden können, wie ein ausgelernter Facharbeiter im Ausbildungszentrum echtes „Baustellenfeeling“ erleben. In der Disziplin Mauern mit dem Schwerpunkt Beton- und Stahlbetonbauer lernt man u.a. mit dem Rohstoff Holz umzugehen, um zum Beispiel eine Brückenschalung oder einen Treppenaufgang herzustellen.
Können Sie das Ausbildungszentrum und seine Funktionen etwas näher beschreiben?
Wir befinden uns in der glücklichen Lage, dass der Schulstandort und das Ausbildungszentrum ganz in der Nähe von unserem Unternehmensstandort liegt. In der Friedrich-Dessauer-Schule, die in jedem neuen Ausbildungsjahr zwischen 10 bis 15 Auszubildende von uns beschult, arbeiten wir schon seit Jahren hervorragend zusammen. Auch mit den Ausbildern im Ausbildungszentrum, wo unsere Azubis das kleine
Einmaleins des Bauens beigebracht bekommen, arbeiten wir freundschaftlich und sehr gut zusammen.
Das Ausbildungszentrum selbst wird von der SOKA-BAU getragen, der Sozialkasse der Bauwirtschaft, die von der Baubranche durch Beiträge finanziert wird. Im Zentrum gibt es beispielsweise eine Tiefbauhalle, in der die Straßenbauer ihre Fertigkeiten unter Realbedingungen verfeinern können. Die Rohre, die dort verlegt werden, sind Spenden der heimischen Baubetriebe, die auch die Maschinen in der bewegten Lehre zur Verfügung stellen. Die Albert Weil AG war hier acht Jahre lang Sponsor, bis im Jahr 2023 die Firma Feickert übernahm. In der Werkhalle wird mit den Maurern und Beton- und Stahlbetonbauern, gemauert, geschalt, Eisen gebogen, wie auf einer richtigen Baustelle.
Es ist eine schöne Vorstellung, dass die Auszubildenden verschiedener Unternehmen zusammenarbeiten.
Das gemeinsame, firmenübergreifende Tun erzeugt einen ganz besonderen Teamgeist. Und der wird auch von der Friedrich-Dessauer-Schule mit eigenen Projekten gefördert – man denke aktuell an das sogenannte „Himmelsfenster“, ein großer Rahmen aus Holz, der anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums des Landkreises Limburg-Weilburg in Arfurt, der „goldenen Mitte“ des Kreises, aufgestellt wurde: Das war ein gemeinsames Projekt der Schüler, der Schule und Unterstützung der Unternehmen. Aber auch betriebsintern gibt es viele Projekte der Albert Weil-Azubis, die wirklich stolz machen. Die Gestaltung des Platzes der Heiligen Barbara beim Sand- & Kieswerk Buss in Niederzeuzheim beispielsweise ist jedes Jahr am Dezember immer wieder ein Highlight. Das Staudenbiotop mit den selbst gebauten Insektenhotels direkt an dem Kreisel an der Kapellenstraße steht für Nachhaltigkeit und förderte das gemeinsame Arbeiten der Azubis die in acht unterschiedlichen Ausbildungsberufen ausgebildet werden. Viele weitere sach- und spaßbezogene Projekte werden jedes Jahr von allen Azubis der Bauunternehmung Albert Weil AG übernommen, um den Teamgeist zu stärken.
Wie hat sich denn das Thema Ausbildung speziell bei der Albert Weil AG entwickelt?
Früher gab es die klassischen Lehrberufe Beton- und Stahlbetonbauer, Straßenbauer sowie Industriekaufmann und Industriemechaniker. Wir bekamen sehr viele Bewerbungen, aus denen wir die, die am besten zum Unternehmen passten, aussuchen konnten. Die Situation ist heute eine andere. Einerseits sind zwei Ausbildungsberufe dazugekommen, der Fachinformatiker für Systemintegration sowie der Elektroniker für Betriebstechnik. Letzteren konnten wir ca. zehn Jahre lang nicht anbieten, weil der Ausbilder in Rente gegangen war. Jetzt sind wir glücklicherweise wieder in der Lage dazu. Durch die Dienstleistungen Albert Weil GmbH gibt es heute zwei weitere Ausbildungsberufe: einerseits den des Bürokaufmanns, andererseits den des Glas- und Gebäudereinigers. Jahrgangsübergreifend haben wir also immer zwischen 35 und 40 Auszubildende im Unternehmen.
Dass die Besetzung von Ausbildungsplätzen heute oft eine Herausforderung darstellt, ist aus vielen Branchen bekannt. Wie sieht es da bei der Albert Weil AG aus?
Die Baubranche hat diesbezüglich dieselben Probleme, wie alle anderen auch. Früher war es so, dass die Bewerbenden mit einem gewissen Grad an Vorwissen zum Gespräch kamen; sie wussten beispielsweise, was eine Maurerkelle oder ein Schraubenschlüssel ist. Auch wussten sie, wie ich mit einem Besen umgehe. Was für uns alle selbstverständlich war. Bei der heutigen Generation, die einen großen Teil ihrer Zeit online verbringt, kann man dieses Wissen leider nicht mehr voraussetzen. Der Einfluss von Internet und Smartphone verändert die Wahrnehmungsgewohnheiten, die Konzentration, das Erinnerungsvermögen und die Lernfähigkeit. Selbst die sozialen Kontakte verändern sich dadurch. Das sind Rückmeldungen, die ich nicht nur von unseren Ausbildern gespiegelt bekomme, sondern auch von unseren Azubis. Dafür hat die neue Generation andere Qualitäten, Talente und Eigenschaften, die wir uns zu Nutze machen. Das bedeutet, wir müssen uns auf diese neuen Eigenschaften der Azubis einlassen und andere Wege in der Ausbildung gehen.
Auch streben Eltern heute oft Ausbildungsberufe für ihre Kinder an, die weniger belastend sind und das, obwohl sich die Baubranche in den vergangenen Jahren extrem stark verändert hat. Dass es im Bau sehr viele Weiterbildungsmöglichkeiten gibt; mit nachhaltigen Materialien, digitalen Prozessen und innovativen Techniken gearbeitet wird, ist bei vielen Eltern noch nicht angekommen. Eine weitere Besonderheit der jungen Generation ist die Kommunikation, die heute oft fast ausschließlich über das Handy funktioniert. Corona hat bestimmt auch einen Teil dazu beigetragen, dass das persönliche Gespräch etwas ist, das im Betrieb quasi „neu erlernt“ werden muss. Das kann durchaus herausfordernd für die betrieblichen Mentoren bzw. Paten sein.
Hat die derzeitige Situation bei den Ausbildungsplätzen Auswirkungen auf den Schulstandort und das Ausbildungszentrum?
Es gibt ja das Konzept der „zukunftsfähigen Berufsschule“ des hessischen Kultusministeriums, das Mindestklassengrößen definiert. Demnach müssen im ersten Ausbildungsjahr zwölf Schüler je Beruf gemeldet sein; im zweiten neun und im dritten acht. Zur Wahrheit gehört auch, dass in der Regel vier bis fünf Lernende das Handtuch werfen – man muss also eigentlich mit sechzehn Schülerinnen und Schülern beginnen.
Letztes Jahr haben wir die geforderten Klassengrößen erreicht. Dieses Jahr ist es viel schwieriger. Eine dauerhafte Unterschreitung könnte jedoch den Berufsschulstandort Friedrich-Dessauer-Schule für die Bauberufe gefährden. Und natürlich würde das auch das Ausbildungszentrum betreffen.
Das klingt, als würden die Herausforderungen nicht weniger.
Mit Sicherheit nicht! Es ist uns zum Beispiel noch nicht gelungen, die Ausbildungsplätze für Glas- und Gebäudereiniger zu besetzen, obwohl wir seit zwei Jahren auf der Suche sind. Durch den neuen Standort in Idstein sind zwei weitere Ausbildungsplätze für den Straßenbau dazugekommen. Für die Industriebauservice in Höchst suchen wir einen Maurer. Der Schulstandort für beide Ausbildungen wird Limburg sein, damit wir die vorgegebenen Schülerzahlen des Kultusministeriums einhalten können. Das ist für Bewerber aus Idstein und besonders für Höchst natürlich auch fordernd. Uns ist es wichtig, dass wir den Standort Limburg für Berufsschule und Ausbildungszentrum für Bewerber aus der heimischen Region stärken. Deshalb lassen wir uns immer wieder neue Formate, wie die „Karriere vor der Haustür“ und viele andere einfallen, um für die Schüler interessant zu bleiben und mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Bange machen gilt nicht, richtig?
Wir nehmen die Herausforderung an. Der Betreuungsbedarf bei unseren Auszubildenden ist größer geworden. Der persönliche Kontakt zu ihnen ist außerordentlich wichtig. Das Baugewerbe basiert auf Teamarbeit – dies gilt es klar zu vermitteln. Und dass der Teamgedanke natürlich insbesondere für die Azubis untereinander gilt, unabhängig von Geschlecht, Religion oder ethnischem Hintergrund. Diesen Teamgedanken wollen nicht nur wir bei der Albert Weil AG vermitteln, sondern auch die Friedrich-Dessauer- Schule und das Ausbildungszentrum leisten hier einen wichtigen Beitrag. Und was die Rekrutierung neuer Auszubildender angeht: Wir müssen ständig neue Wege gehen, um Interesse für unsere Branche zu wecken. Deshalb haben wir im Juni den „Abend der Bauberufe“ zusammen mit 13 heimischen Handwerksbetrieben auf unserem Firmengelände gestaltet. Dort konnten zukünftige Azubis, ihre kleinen Geschwister und die Eltern selbst „Bauluft“ schnuppern. Es wurden Kurzpraktika angeboten und man konnte unter anderem selbst Baustahl biegen, Schalungen aufbauen, einen Mauerpfeiler errichten, mit Lehm und Holz arbeiten. Selbst die ganz Kleinen konnten selbstgebaute Smatiesspender an den Werkbänken der Friedrich-Dessauer-Schule herstellen.
Die aktuellen Azubis haben für ihre „Nachfolger“ gegrillt und einen Shuttleservice gab es auch. Der „Abend der Bauberufe“ hat sehr guten Anklang gefunden und es war für uns als gastgebendes Unternehmen natürlich besonders schön, dass wir die Bauberufe am eigenen Standort präsentieren konnten.
Das ist doch ein gutes Stichwort für einen optimistischen Blick in die Zukunft, finden Sie nicht?
Positives Denken und ein gutes Quäntchen Optimismus stärkt uns und lässt neue innovative Ideen zu. Jede neue Azubi- Generation bringt ja auch neue, frische Lebensläufe in ein Unternehmen, die wir so früher noch nicht hatten. Zum, Beispiel gehen heute Fünfzehnjährige mit Dreißigjährigen zusammen in die Berufsschule, weil Letztere sich neu orientieren wollen. Außerdem bringen die heutigen Azubis eine hohe Flexiblität und Anpassungsfähigkeit an neuer Technologie, Arbeitsmethoden und sogar gesellschaftliche Veränderungen mit, wovon wir lernen können. Oder es kommen junge Menschen zu uns, die erst einmal fünf bis zahn Jahre als Hilfsarbeiter im Bau gejobbt haben, dann aber einsehen, wie viel mehr man mit einer dualen Ausbildung erreichen kann. Denn diese eröffnet Weiterbildungsmöglichkeiten in alle Richtungen.
Das Thema Ausbildung wird jedenfalls nicht langweilig werden. Und auch wenn die jungen Menschen heutzutage häufig aus digitalen Welten zu uns stoßen, bin ich guter Hoffnung, dass wir im Verbund mit Berufsschule und Ausbildungszentrum wieder kleine „MacGyver“ aus ihnen machen werden – und zwar hier bei uns in Limburg!
Frau Schneider, vielen Dank für die offenen Worte – und viel Erfolg für die Zukunft bei der Arbeit mit den Auszubildenden!